Blog: Weg mit der ÖV-Werbung! Freie Sicht auf unsere schönen Städte!

In Süd- und Nordamerika habe ich immer wieder ein Auge auf die urbane Aussenwerbung geworfen und mit Zürich verglichen. Das Ergebnis ist Mitleid erregend. Heute: Werbung im öffentlichen Verkehr.

Wer ab und zu meine Blog-Einträge liest, weiss: Aus politischen, sozialen und ästhetischen Gründen bin ich ein dezidierter Gegner von Aussenwerbung. Sie ist undemokratisch, verschiebt nur Geld zwischen den grossen, oft internationalen, Unternehmen und ist visuell eine Zumutung. Bisher gab es eine Form der Aussenwerbung, die ich zähneknirschend hingenommen habe, nämlich die Werbung im öffentlichen Verkehr.

Werbung im öffentlichen Verkehr, so glaubte ich, finanziert im Gegensatz zu Werbung auf Privat- und öffentlichem Grund ein Gemeingut. In der IG Plakat | Raum | Gesellschaft haben wir ausgerechnet, dass ohne VBZ-Werbung die Billettpreise rund 2,6 % steigen müssten. Das ist wenig, betrachtet man die vielen Werbeformen, angefangen bei den Haltestellen über die Hängekartons und die Fenstertransparente, die einem die Sicht versperren. Aber immerhin, 2,6 %.

Zu den Hängekartons und den Fenstertransparenten: Alle von mir besuchten Städte haben gut funktionierende und erschwingliche öffentlichen Verkehrsmittel – und kein einziges Transportunternehmen ist auf die absurde Idee gekommen, den Blick auf die Stadt durch Hängekartons und Fenstertransparente zu versperren.

Interessant sind aber auch die Wartehäuschen:
Auffallend ist zuallererst, dass alle grosso modo gleich aussehen. Das wundert wenig, denn auffallend ist zuallerzweit, dass beinahe alle JCDecaux (wie bei uns unter der Firma der APG/Affichage) oder ClearChannel gehören, in seltenen Fällen auch CBS (ehem. Viacom). Der grösste Teil des Gewinns fliesst also entweder nach Frankreich oder in die USA. Was bei den lokalen Transportunternehmen hängen bleibt, ist gerade genug, um das Gewissen derjenigen zu beruhigen, die die Aufmerksamkeit von Millionen von Passagieren ins Ausland verkaufen.
Die Gestaltung und Grösse der Wartehäuschen richten sich nicht nach den Bedürfnissen der Passagiere, sondern nach dem Format der Werbung. Wenn man sieht, wie das ÖV-Stadtmobiliar andernorts gehandhabt wird, ist man versucht, die Situation als ein notwendiges Übel hinzunehmen.

Bis man sich São Paulo, Portland OR oder Seattle WA anschaut, Städte, die ihren Stolz gegen die neoliberale Propaganda der Plakatgesellschaften verteidigt haben. Wie die Verhältnisse im werbefreien São Paulo aussehen, habe ich im Mai erzählt. Portland und Seattle haben in der Innenstadt, die ziemlich grossräumig begriffen wird, keine Werbung an den Haltestellen. Der Effekt mag auf diesen Amateur-Schnappschüssen nicht so stark sein, deshalb gebe ich mein Wort: Es ist ruhiger und entspannter. Man fühlt sich wohl. Zugegeben, das Stadtbild ist nicht schmuddlig, wie ich es manchmal gerne hätte (allerdings lieber authentisch-schmuddlig als Aussenwerbung-schmuddlig), aber es entspricht jenem Bild, das die Schweizer Städte gerne portieren.

Und wie sieht es finanziell aus? Portland und Seattle haben relativ günstige öffentliche Verkehrsmittel – und in den Innenstädten sind sie ganz und gar gratis! Die beiden Westküstenstädte beweisen, dass es ohne Werbung geht, man muss nur wollen. Was öffentlich ist, ist ein Gemeingut, und es ist in der Natur der Gemeingüter, dass sie öffentlich bleiben und nicht dem Meistbietenden verkauft werden.

Mein Ruf schalle durch das Land: Weg mit der ÖV-Werbung, freie Sicht auf Zürich, Basel, Bern, Bellinzona, Lausanne, Luzern und wie unsere zumeist schönen Städte alle heissen! Und kostenloser öffentlicher Verkehr in der Innenstadt! Es gibt keine dem öffentlichen Verkehr inhärente Notwendigkeit, Werbung zu verkaufen! Es braucht nur guten Willen, richtige Priorisierung und Rückgrat gegenüber der Propaganda der Werbeindustrie.

Dieser Beitrag von Christian Hänggi erschien ursprünglich auf dem Blog des Werbe- und Kommunikationsbranchenportals persoenlich.com.