Abhörtechnologie auf Werbeplakaten: Update

Wie die IG Plakat | Raum | Gesellschaft aufgedeckt hat, plant die APG, die aus Persönlichkeitsschutz umstrittene Cross-Device Tracking Technologie einzusetzen (siehe letzter Beitrag und der Artikel im Tages-Anzeiger). Jetzt wurde bekannt: Es kommt noch ärger als angenommen. Es handelt sich um über 20 Bahnhöfe in Zürich, Bern und Basel, und mit im Boot sitzen die Swisscom, SBB, Tamedia, Ringier und weitere. Wer die Apps von Bluewin oder 20 Minuten installiert hat, scheint das Hintertürchen bereits auf dem Smartphone zu haben.

Anmerkung: Diese Mitteilung wird aufdatiert, sobald neue Erkenntnisse gewonnen sind. Letzter Update: 01.06.19, 12:00 Uhr.
Watson hat inzwischen kommuniziert, dass sie bei der Lancierung von Beem (noch) nicht dabei sind.

Gemäss einer heute [27.05.19] veröffentlichten Medienmitteilung von Swisscom nutzen die verschiedene Unternehmen künftig eine Plattform namens Beem, um «klassische Werbekampagnen direkt auf das Smartphone der Nutzer zu bringen und so interaktiv zu machen.» Wie die IG Plakat | Raum | Gesellschaft vermutet hat, geschieht dies durch ein «hochfrequentiges» [sic!] Signal, das von Smartphones registriert wird. Wie es den Anschein macht, ist die Technologie zum jetzigen Zeitpunkt bereits in die Apps von 20 Minuten und Bluewin integriert, Watson wird folgen. Bei den Plakaten wird zusätzlich zum Audio-Signal ein Bluetooth-Signal ausgesendet:

«Hat ein Nutzer eine dieser Apps geöffnet, erscheint ein unaufdringlicher Hinweis, sobald das Signal empfangen wird. Wird der Hinweis angewählt, öffnet sich die Beem Plattform, wo aktuelle Angebote passend zum gesehenen Plakat, zur Sendung oder zum Spot zu finden sind. Das können reine Zusatzinformationen, Gewinnspiel- oder Voting-Teilnahmen oder auch Kaufangebote und Gutscheine sein.»

Bölz no eis hat inzwischen auf Youtube ein Video veröffentlicht, das die Technologie und ihre Risiken sowie ihre Einbettung in die Schweizer Medienlandschaft schlüssig erklärt:

Bahnhöfe

Die Medienbeiträge geben ein etwas falsches Bild über die Verbreitung der Technologie. Wie wir inzwischen in Erfahrung bringen konnten, ist sie in folgenden Bahnhöfen installiert:

  • Bahnhof SBB Zürich-Affoltern
  • Bahnhof SBB Zürich-Altstetten
  • Bahnhof SBB Zürich-Hardbrücke
  • Bahnhof SBB Zürich-HB
  • Bahnhof SBB Zürich-Oerlikon
  • Bahnhof SBB Zürich-Stadelhofen
  • Bahnhof SBB Zürich-Stettbach
  • Bahnhof SBB Zürich-Tiefenbrunnen
  • Bahnhof SBB Zürich-Wiedikon
  • Bahnhof SBB Zürich-Wipkingen
  • Bahnhof SZU Binz
  • Bahnhof SZU Brunau
  • Bahnhof SZU Saalsporthalle
  • Bahnhof SZU Schweighof
  • Bahnhof SZU Selnau
  • Bahnhof SZU Zürich
  • Bahnhof SBB Zürich-Flughafen
  • Bahnhof BLS Bern-Bümpliz-Nord
  • Bahnhof BLS Bern-Europaplatz
  • Bahnhof RBS Bern-Felsenau
  • Bahnhof RBS Bern-Tiefenau
  • Bahnhof SBB Bern
  • Bahnhof SBB Bern-Bümpliz-Süd
  • Bahnhof SBB Bern-Europaplatz
  • Bahnhof SBB Basel
  • Bahnhof Basel SBB / SNCF

Aus heutiger Sicht sind zwei grosse Problemfelder ungeklärt: Datenschutz und die Verträglichkeit des ausgestrahlten Signals.

Datenschutz

Die Datenschutzerklärung lässt viele Fragen offen. Insbesondere, welche Daten wo genau und wie lange gespeichert werden, an wen und zu welchem Preis sie verkauft werden, wie sich Beem vor Angriffen Dritter und Missbrauch durch Hacker schützt. Denn: Eine Abhörtechnologie zu installieren und zu denken, sie werde nicht missbraucht, die AGBs regeln das ja, ist reichlich naiv. Programmierfehler, Pannen, mutwillige Manipulation oder Attacken Dritter gehört zu jeder Technologie.

Der Mediendienst von Swisscom schreibt auf Anfrage: «Wir sichern unsere technische Plattform mit den üblichen, state-of-the art [sic!] Sicherheitsmassnahmen.» Die Aussage ist zum jetzigen Zeitpunkt schlicht nicht überprüfbar, denn es wird verschwiegen, welche Sicherheitsmassnahmen es sind.

Weiter schreibt der Mediendienst: «Es werden keine Daten von Smartphones ausgelesen.» Diese Behauptung ist offensichtlich inkorrekt, denn in der Datenschutzerklärung steht, dass u.a. die Typen von Browsern und Betriebssystemen ausgelesen werden. Weshalb es wichtig ist, den Browser zu kennen, wenn die Darstellung über eine App läuft, ist nicht klar. Die Technologie bzw. App wurde nicht von einem Datenschützer überprüft, denn, so der Mediendienst:  «Das war nicht nötig, da beem und ihre Apps den schweizerischen Datenschutz einhalten.» Das würde wiederum bedeuten, dass eine Überprüfung nur notwendig ist, wenn der Datenschutz nicht eingehalten wird, was eine etwas absurde Aussage ist. Bis der Nachweis der Einhaltung des Datenschutzes von unabhängiger Seite erbracht wurde, steht die Beschwichtigung auf wackeligen Füssen. Erst recht, wenn selbst der Mediendienst inkorrekte Informationen dazu kommuniziert.

Inzwischen konnte in Erfahrung gebracht werden, dass die Daten in Deutschland gespeichert und in der Schweiz gespiegelt werden. Allerdings ist noch nicht klar, ob die Daten aus der Schweiz nach Deutschland und zurück Umwege über andere Länder nehmen. Zudem bedeutet dieser Grenzübertritt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass die Daten auch vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB) mitgelesen werden können.

Auf weitere Fragen, die wir an den Mediendienst gerichtet haben, sind nur vage und nicht überprüfbare Antworten gekommen. Wir haben nochmals nachgefasst und werden informieren, sobald wir mehr Informationen haben.

Hochfrequentes Signal

Im Anhang zur Medienmitteilung schreibt Swisscom, dass das hochfrequente Signal, das ausgesendet wird, Kinder und Tiere nicht beeinträchtige. Sie schreiben etwas von wissenschaftlichen Tests, haben aber bislang nicht nennen können, um welche Tests es sich gehandelt hat. Die Wissenschaftlichkeit ist also zum jetzigen Zeitpunkt nicht überprüfbar. Von Herbst 2018 bis April 2019 wurde an einem nicht näher genannten SZU-Bahnhof in Zürich ein Test durchgeführt. Swisscom schreibt, dass keinerlei Reaktionen von Passanten oder Tieren beobachtet wurden. Auch hier fehlen die Angaben zur Methodik, was die Aussage oder ihren wissenschaftlichen Gehalt nicht überprüfbar macht.

In den Kommentarspalten zu den Artikeln im Tages-Anzeiger und 20 Minuten berichten verschiedene Erwachsene, dass sie das Geräusch hören können und es als störend empfinden. Die IG Plakat | Raum | Gesellschaft hat sich mit einem Informatiker über die Technologie unterhalten. Auch er konnte das Signal hören und hat es als unangenehm empfunden. Es ist also zumindest in Frage zu stellen, ob die Behauptung stimmt, dass Kinder und Tiere (und Erwachsene mit gutem Gehör) das Signal nicht wahrnehmen bzw. nicht darunter leiden.

Die vielleicht wichtigste offene Frage bleibt: Weshalb muss sich die Bevölkerung gefallen lassen, dass sie auf öffentlichen Grund ungefragt einer neuen Technologie ausgesetzt wird, bloss weil einige Werbetreibende ihre Partikularinteressen durchsetzen, um mehr Geld zu verdienen?