Abgesehen von der Tabakindustrie ist die Werbeindustrie der einzige Profiteur von den 9500 Tabaktoten jährlich. Mangels Argumenten kramen die Ewiggestrigen nun alte Slogans aus der Mottenkiste hervor.
Das erste Werbeplakat, an das ich mich erinnere, war von Marlboro. Als kleiner Bub hat mich beeindruckt, dass der Tabakhersteller so ehrlich aufs Plakat geschrieben hat, dass Zigaretten ungesund sind. Jahrzehnte später bin ich zwar klüger, aber nicht so sehr, dass ich die Finger vom Glimmstängel lasse. Ob mich der Marlboro-Man oder der Camel-Joe zum Rauchen verführt haben, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Dass das Marlboro-Plakat das erste Werbeplakat war, das ich wahrgenommen habe, hingegen schon.
Etwa fünfzehn Jahre später, so um 2001 dürfte es gewesen sein, habe ich die Website der Werbeagentur FCB Leutenegger Krüll, bei der mein Vater als CFO arbeitete, für gutes Geld programmiert. Schon damals ging ein Gespenst um in Europa, das Gespenst des Verbots von Tabakwerbung. Und schon damals hiess es aus der Werbeindustrie einigermassen wörtlich: Heute das Verbot von Tabakwerbung, morgen das Verbot von Cervelatwerbung (oder Zucker, Salz, Fett)!
Der hiesige Marktführer für Aussenwerbung APG|SGA hat sich schon einmal die Finger an der Tabakwerbung verbrannt. 2010 hat das damals als Affichage bekannte Unternehmen in Griechenland einen zweiseitigen handschriftlichen Vertrag für die Übernahme von Plakatflächen unterschrieben. Rund 150 Millionen Franken wurden dabei in Rauch aufgelöst, einerseits, weil viele der erworbenen Plakatstellen illegal waren; andererseits, weil kurze Zeit später ein Tabakwerbeverbot in Kraft getreten ist. Für Beobachter:innen war es klar, dass Werbeverbote für Tabakwerbung kommen werden. Nur die Affichage war blind.
Jetzt kramt die Werbeindustrie, die sich so gerne als Innovationskraft sieht, wieder die jahrzehntealten Scheinargumente hervor und klebt den Schweinewurst-Teufel an die Wand. Zum Beispiel bei der Synagoge der jüdisch-orthodoxen Gemeinde an der Zürcher Weststrasse. Nein, das ist nicht antisemitisch motiviert. Es ist nur dumm. Wenns einen Batzen zu verdienen gibt, kennt die Werbeindustrie kein Feingefühl. Und zur Not trampelt sie auch über Tote. 9500 jährlich alleine in der Schweiz. Hat jemand etwas von extrem gesagt?
Es wird sich zeigen, wie die Stimmbürger:innen des Tabakparadieses Schweiz abstimmen werden. Letztlich ist es ein Tropfen auf den heissen Stein, denn eigentlich müsste die kommerzielle Aussenwerbung ganz abgeschafft werden. Dann braucht niemand mehr darüber zu streiten, ob erst Tabak, dann Cervelat. Und dann könnten die rund 373 Millionen Franken, die 2020 für Aussenwerbung ausgegeben wurden, in die Medien fliessen, die tatsächlich Inhalt generieren und nicht bloss an jeder Strassenecke markieren wollen.