Am 25. August 2022 hat der Verband Aussenwerbung Schweiz AWS vollmundig angekündigt, dass seine Mitglieder «ab dem 1. Oktober 2022, ihre Screens, welche ohnehin in den Nachtstunden abgeschaltet werden, schweizweit noch eine Stunde länger ausser Betrieb zu nehmen – um damit ihren Stromverbrauch um mindestens 5 bis 7% signifikant zu reduzieren.» Grund war, dass sie Angst davor haben, dass OSTRAL (die Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen) im Falle einer Strommangellage anordnen könnte, dass unnötiger Luxus wie Leuchtreklamen und Werbescreens ausgeschaltet werden müssten.
Stichproben der IG Plakat | Raum | Gesellschaft am 2. und 3. Oktober haben ergeben, dass der Verband Aussenwerbung Schweiz AWS sein Wort gebrochen hat. Die Werbebildschirme waren keineswegs eine Stunde länger ausgeschaltet.
Die Bildschirme von Neo Advertising haben zu den üblichen Zeiten, das heisst 6 bis 22 Uhr, geleuchtet. Teilweise viel zu hell. Und noch über zwei Stunden nach Abschalten haben die 15 eingebauten Lüfter auf Hochtouren gedreht.
Zwei Bildschirme von Clear Channel, die, wie es scheint, seit Monaten rund um die Uhr leuchten, waren ebenfalls immer noch eingeschaltet – vermutlich weiterhin die ganze Nacht.
Bildschirme der APG waren nicht Teil der Stichprobe. Aber: Eine Reihe von APG-Leuchtplakaten war ebenfalls bis spät in die Nacht eingeschaltet. Eine Leuchtdrehsäule hat auch nach 1 Uhr morgens munter weitergedreht, obwohl nicht mehr beleuchtet.
Die Screens eine Stunde länger ausschalten könnte etwa 6% Strom sparen (wenn es getan würde, was nicht der Fall war). Diese 6% betreffen aber nur die Bildschirme selber, nicht die ebenfalls eingebauten Rechner, Netzteile, Heizungen, Ventilatoren und Router. Es betrifft auch nicht den ganzen Stromverbrauch der mit Strom betriebenen Werbestellen, also inklusive Leuchtdrehsäuen, beleuchteten und hinterleuchteten Plakaten.
Gesamthaft hat der Energieverbrauch von Werbestellen in den letzten Jahren massiv zugenommen.
Beispielhaft seien die Zahlen aus dem CSR-Bericht von Clear Channel genannt. In nur fünf Jahren, von 2017 bis 2021 (inklusive zwei schwächelnden Pandemiejahren), hat der Stromverbrauch für alle Werbestellen um 42% zugenommen (davon 72% Nicht-Ökostrom). Der durchschnittliche Stromverbrauch pro Werbestelle mit Strom (d.h. ohne unbeleuchtete Papierplakate) hat um 25% zugenommen. Diese Zahlen beinhalten keine Grauenergie für Herstellung, Transport und Entsorgung, was bis zu 30% zusätzlich ausmachen kann.
Die Zahlen fürs laufende Jahr sind noch nicht publiziert. Die Tatsache, dass die stromfressenden Clear-Channel-Werbescreens schweizweit von 370 (2020) auf 540 (heute) zugenommen haben, also +46%, lässt die versprochene Einsparung von 5–7% mehr als lächerlich erscheinen, selbst wenn sie stattgefunden hätte. Und das sind nur die Zahlen für Clear Channel. Die VBZ (Vertrag mit Neo Advertising) hat die Anzahl Werbescreens um 2470% gesteigert – von rund 10 auf rund 257.
Es herrscht Krieg in Europa. Die Umweltkatastrophen haben längst eingesetzt. Dem blinden Zynismus der Werbeindustrie kann man nur eins entgegensetzen: Stecker ziehen. Damit könnte man auf einen Schlag 56% des ersten Stadtzürcher Massnahmenpakets zur Einsparung von Strom gewinnen – alleine mit den Bildschirmen.