Blog: Das Dilemma der Freiheit

Die widersprüchlichen Auffassungen von Freiheit, die verschiedene Parteien für sich reklamieren, können unter die Schirmherrschaft der Schonung gestellt werden.

In der individualisierten Gesellschaft des Spätkapitalismus geistern Begriffe um: freie Meinungsäusserung, freier Wille, freie Marktwirtschaft. Wirtschaftsfreiheit, Informationsfreiheit, Kommunikationsfreiheit. Schaut man genauer hin, zeichnet sich ab, dass unsere Obsession mit der Freiheit verschiedene − teils widersprüchliche − Auffassungen zutage fördert. Bevor man sich also daran macht, die einzelnen Wortzusammensetzungen zu betrachten, lohnt es sich, zu überlegen, was das Wort «frei» denn bedeutet.

Bekanntlich gibt es die positive und die negative Freiheit, also die Freiheit zu- und die Freiheit von-. Die Widersprüche liegen auf der Hand.
Die Freiheit der Aussenwerbungsindustrie, den öffentlichen Raum mit bunten Bildchen zu bekleckern, liegt im Clinch mit der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger, im öffentlichen Raum dasselbe zu tun. Die Freiheit einer Uhrenmarke, die Frontseite einer Zeitung zu kaufen, liegt im Clinch mit der Freiheit eines Schwimmflügelherstellers, dasselbe zu tun.

Die Freiheit der Aussenwerbungsindustrie, das Blickfeld des Betrachters zu verkaufen, liegt im Clinch mit der Freiheit des Betrachters von ebendiesen Botschaften. Die Freiheit einer Zeitung, Inserate zu schalten liegt im Clinch mit der Freiheit − oder Unabhängigkeit − derselben Zeitung von ebendiesen Inseraten.

Diese Beispiele geben natürlich nicht die ganze Tragweite dieser gesellschaftlich zentralen Frage wieder, doch sie zeigen, dass das Dilemma der Freiheit nicht ohne weiteres aufzulösen ist. Ich denke aber, dass wir uns mit dem deutschen Philosoph Martin Heidegger einer Auflösung nähern können, ohne dass wir den Widerspruch neutralisieren. In seinem Aufsatz «Bauen Wohnen Denken» schreibt er:

Das Wort Friede meint das Freie, das Frye, und fry bedeutet: bewahrt vor Schaden und Bedrohung, bewahrt − vor … d. h. geschont. Freien bedeutet eigentlich schonen. Das Schonen selbst besteht nicht nur darin, dass wir dem Geschonten nichts antun. Das eigentliche Schonen ist etwas Positives und geschieht dann, wenn wir etwas zum voraus in seinem Wesen belassen, wenn wir etwas eigens in sein Wesen zurückbergen, es entsprechend dem Wort freien: einfrieden.

Wenn wir dieser Etymologie folgen, dann bedeutet das also, dass Freiheit und Friede miteinander in Beziehung stehen. Noch wichtiger aber: Freiheit hängt letztlich mit Schonung zusammen, damit, etwas in seinem Wesen zu belassen. Wenn wir von der freien Kommunikation sprechen, dann müssen wir uns zuallererst fragen, ob die Art von Kommunikation, von der die Rede ist, tatsächlich das Wesen der Kommunikation belässt, oder ob es eine gestutzte oder gar verstümmelte Form der Kommunikation portiert. Weiter müssen wir uns fragen, ob sie dazu geeignet ist, den Austausch von Bedeutungen vor Schaden und Bedrohung zu bewahren. Freiheit ist nur Freiheit, wenn sie eine Qualität der Nachhaltigkeit hat.

Dieser Beitrag von Christian Hänggi erschien ursprünglich auf dem Blog des Werbe- und Kommunikationsbranchenportals persoenlich.com.