Verkehrssicherheit, Landschaftspflege und der ewige Aufmerksamkeitstrieb: Unsere Politiker und Polizeien glauben, was ihnen gerade in den Kram passt. Das zeigt auch die neuste Kampagne der Zürcher Polizeien.
Im März hat der Nationalrat Feldwerbung zugelassen, damit wenige Landwirte zusätzlich zu den staatlichen Subventionen und dem Verkauf ihrer Erzeugnisse ein Nebeneinkommen erzielen können. Dass die Landwirtschaft einen gesetzlichen Auftrag zur Schonung und zum Schutz des heimatlichen Landschafts- und Ortsbilds hat, ging wohl vergessen.
Feldwerbung – wie alle andere Werbung – bleibt entlang von Autobahnen nicht zugelassen, denn es sei unbestritten, dass Werbung die Verkehrsteilnehmer ablenke, egal ob es sich um politische oder sonstige Werbung handle. So Verkehrsminister Leuenberger. Die Verkehrssicherheit ist auch der Grund, weshalb im Kanton Zürich auf Megapostern nur sieben Wörter zugelassen sind. Dies ist die einzige inhaltliche Vorschrift, und die ist Paron, dem grösstformatigen Privatisierer des öffentlichen Raums, natürlich bestens bekannt. Tally Weijls Werbespruch «I fight to protect the little whale riders» (übrigens selbst für Muttersprachler unverständlich) hatte acht Wörter, weshalb ein Grossplakat im März zurückgewiesen wurde. Anstatt den Spruch abzuändern, machten Paron, Tally Weijl und Schweizer Werbung einen Lätsch.
Das aktuellste Beispiel der selektiven Beurteilung von Verkehrssicherheit und Aufmerksamkeit zeigt sich in der jüngsten Präventionskampagne «Blindflug» der Zürcher Polizeien (www.lenken-statt-ablenken.ch). Die Polizei schreibt, «Unaufmerksamkeit und Ablenkung waren auch im letzten Jahr die Ursache Nummer eins für die Verkehrsunfälle, die sich auf dem Kantonsgebiet Zürich ereigneten.» Und deshalb stellt die Polizei jetzt ausgerechnet F4-Plakate für die Sensibilisierung auf.
Meine Anfrage, wieso ausgerechnet Plakate, wurde mit Hinweis auf den Media-Mix beantwortet, bei dem «Plakate nun mal dazugehören», und: «Mit Plakaten erreichen wir auch 90-Jährige, die wir mit einer Internet-Kampagne nicht erreichen würden.» Das ist schon eine feine Sache, dass jetzt auch die 90-Jährigen erfahren, dass sie nicht SMS schreiben dürfen, während sie fahren. Oder das Navi programmieren. Oder einen Radwechsel vornehmen oder die Fussnägel lackieren. Bezüglich der Verkehrssicherheit wurde mir beschienen, dass die Plakate so gestaltet seien, dass die Botschaft rasch erfassbar ist. «Wenn wir auch nur 2 % der Leute über die Plakate erreichen, können wir bereits einen Erfolg verzeichnen.» Die Zahl ist vielleicht etwas hoch gegriffen, doch sie zeigt: Man wird bescheiden.
Fotomontage 1: Beachtung der Präventionskampagne; Verkehrssicherheit nicht gegeben.
Fotomontage 2: Aufmerksamkeit auf die Strasse; Präventionskampagne nicht beachtet.
Der eigentliche Widerspruch wird jedoch nicht aufgelöst. Wird das Plakat wahrgenommen, dann ist die Aufmerksamkeit nicht auf der Strasse. Wird es nicht wahrgenommen, dann hätte man sich den Werbefranken sparen können. Verkehrssicherheit gekoppelt mit Werbewirkung ist etwas, woran nur jene glauben, die damit Geld verdienen, und jene, die von den Damitgeldverdienenden hirngewäscht wurden.
Meine Erfahrung zeigt: Plakate werden von Autofahrern nicht wahrgenommen, auch wenn fünf Mal in Folge dasselbe Plakat hängt. Manchmal mache ich mir einen Spass daraus, meine Mitfahrer nach dem Plakatsujet zu fragen, an dem wir eben vorbeigedüst sind. Kein einziger ( = 0 % der Befragten) hat den Test je bestanden.
Deshalb im Sinne des Ortsbilds und des schlau investierten Werbebudgets: Weg mit den Plakaten von der Strasse! Und wenn dabei die Verkehrssicherheit zunimmt – tant mieux!
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Dieser Beitrag von Christian Hänggi erschien ursprünglich auf dem Blog des Werbe- und Kommunikationsbranchenportals persoenlich.com.