Blog: Warum ich gegen Werbeverbote bin

Mir wird immer wieder vorgeworfen, ich würde für Werbeverbote plädieren. Doch Kritik – auch wenn es fundamentale Kritik ist – ist nicht gleich Verbot. In Wahrheit bin ich gegen Werbeverbote, so wie ich gegen die meisten Verbote bin.

Die Allianz gegen Werbeverbote hat eine ganze Menge Gründe aufgelistet, weshalb man gegen Werbeverbote zu sein hat (ich bediene mich der Vergangenheit, da es den Anschein macht, dass die Allianz ihre Missionstätigkeit aufgegeben hat). Im Namen von hehren Idealen wie der Meinungsäusserungsfreiheit wird verteufelt, wer dagegen ist, dass die Tabak- und die Alkoholindustrie werben dürfen. Die Allianz vergass mit Absicht, dass die Bundesverfassung mit der Garantie der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 16) nicht die Bekanntmachung und Wieder- und Wiederbekanntmachung von Zahnpasta, Mobiltelefonieangeboten und Alcopops schützen, sondern einen Dialog unter Menschen fördern wollte, der frei ist von Zwängen. Und die Zwänge, um die es heute geht, sind in erster Linie kommerziellen Ursprungs.

Werbeverbote zielen in der Regel auf bestimmte Inhalte ab, nicht bestimmte Formen. Und wie Inhalte bewertet werden, hängt – noch mehr als bei der Form – vom Zeitgeist ab, will sagen: von Moralvorstellungen oder Modeerscheinungen. Aus meiner Sicht kein genügend guter Grund, Verbote einzuführen. Gutmenschen, die Konsumenten schützen wollen, haben sich auf einige Produkte eingeschossen und sind zufrieden, wenn man dafür nicht mehr werben darf. Derweil halten sie die Branchenverbände auf Trab, die sich auf die Diskussion einlassen und eifrig zurück schiessen. Und was wird dadurch wirklich verändert? Überhaupt nichts. Ob nun ein Parisienne-Plakat hängt oder nicht, hat keinerlei Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die Lebensqualität, den Wohlstand, die Demokratie oder den freien Markt. Die Diskussion ist keine Diskussion, die einem freiheitlichen Gesellschaftsverständnis würdig ist – selbst wenn, wie die Branchenverbände nun argumentieren würden, es um viel mehr geht, nämlich um drohende Werbeverbote für vermeintliche Dickmacher wie Cheese Burgers und Volvos und überhaupt alles in der Welt.

Die Diskussion über Werbeverbote verhindert erfolgreich, dass sich die Branchenverbände auf grundlegende Weise mit wirklichen Problemen und Herausforderungen befassen. Von diesen Herausforderungen gibt es genügend. Exemplarisch seien hier einige aufgezählt:

  • Wie müsste eine schlagkräftige und glaubwürdige Standesordnung für Werbe- und Marketingfachleute aussehen?
  • Welche gesellschaftliche Rolle hat die Werbung im halbwegs fortgeschrittenen Informationszeitalter zu spielen? Wofür hat sie Verantwortung zu tragen?
  • Was kann die Werbung beitragen, um die Demokratie wirklich demokratisch, den freien Markt wirklich frei zu machen – anstatt genau das Gegenteil zu bewirken?
  • Wie kann verhindert werden, dass die Werbung mündige Citoyens auf halbidiotische Konsumenten reduziert?
  • Wie kann verhindert werden, dass sich die Werbung an den grossen ökologischen Katastrophen der Gegenwart und Zukunft mitschuldig macht?

Das Denken in Werbeverboten fördert ein anachronistisches, kausales Denken, das die Frage der Legalität vor die Frage der Legitimation stellt. Die Werbeindustrie – zusammen mit anderen Bereichen der Wirtschaft und der Gesellschaft – muss eine Transformation durchmachen, wenn sie nicht im Industriezeitalter verharren will. Und diese Transformation lässt sich mittel- und langfristig nicht durch kleinkarierte Pipifax-Probleme vertuschen.

Wer kein Interesse hat, sich diesen Fragen zu stellen, der melde sich an für den Workshop des Verbands Schweizer Werbung mit dem Titel «Ist Kreativität noch möglich? Werbung und Verkauf von Spirituosen». Am Freitag ab 9 Uhr im Restaurant Weisser Wind in Zürich.

PS: Mein Engagement gegen kommerzielle nationale und internationale Aussenwerbung ist nicht in der oben beschriebenen Verbotsmentalität anzusiedeln, sondern dreht sich um die Privatisierung des öffentlichen Raums und den Ausverkauf öffentlicher Ressourcen durch die Partikularinteressen weniger Unternehmen, die weder Interesse an noch Verständnis für Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens an den Tag legen.

Dieser Beitrag von Christian Hänggi erschien ursprünglich auf dem Blog des Werbe- und Kommunikationsbranchenportals persoenlich.com.