Blog: Von gebutterten Bagels und subversiven Plakateuren

Als ich heute Abend in Vancouver bei der Station Broadway/City Hall in die Canada Line steigen wollte, verschluckte ich mich beinahe an meinem gebutterten Bagel. Hat doch da ein subversiver kleiner Plakateur eine käuflich erwerbbare Fläche freigelassen! Eine weisse Fläche, die dazu einlädt, Ahornblätter, Liebesbotschaften und kommunistische Parolen draufzuzeichnen! Eine weisse Fläche, die Zeugnis ablegt, dass Aussenwerbung möglicherweise nicht das beliebteste Werbemedium aller Zeiten und Universen ist! Eine weisse Fläche, die das sorgfältig aufgebaute christlich-kapitalistische Wertesystem ins Wanken bringt!

Nur die Gewissheit, dass das französisch-amerikanische Plakatduopol bei uns in der Schweiz sich solch geschmacklose Spässe nicht erlaubt, konnte meiner Bestürzung allmählich Einhalt gebieten.
Wir Schweizer haben nämlich erkannt, dass eine weisse Plakatfläche die Behörden verunsichert und auf den Gedanken bringen könnte, dass es weniger Aussenwerbung braucht. Wir wissen um den ästhetischen Mehrwert kunstvoll gestalteter, also aller, Werbeplakate. Und wir haben begriffen: Wenn alle nicht verkauften Flächen weiss blieben, und das bestimmt zwischen 10 und 20%, dann würden die Medienagenturen den Preis drücken wollen. Und viel schlimmer, die Bevölkerung könnte plötzlich auf die Idee kommen, dass sie den öffentlichen Raum mitgestalten könnte!

Oh Schande und Frevel!

Als ich mich endlich gefasst und den fallengelassenen Bagel materialgerecht entsorgt hatte, zupfte mich meine Begleiterin am Arm. Und zeigte gleich nebenan auf eine Serie von vier Plakaten, die ich, wie alle Leute, die in Eile sind, was im öffentlichen Verkehr ganz, ganz selten vorkommt, komplett ausgeblendet hatte:

ACQUIRE a brand new personality and join the miserables
CONFORM now and freely accept perpetual chronic disease
CONSUME with pleasure until you are infected and rotting inside
INVEST in your lonely future and suffer if it’s sold out

Ich tippe diese Zeilen im St. Paul’s Hospital. Der Priester ist unterwegs. Die Fotografien wurden mir freundlicherweise von der RCMP, diesen berittenen Polizisten in schicken roten Uniformen überlassen. Es handelt sich um vier Plakate der Serie The 12 Commandments (Commercial) des Projekts LUZ=LUZ von Claudio Rivera-Seguel. Glücklicherweise hat dieser Schmierfink seinen Namen hinterlassen. Mein letzter Wunsch: Möge jemand diesen Ketzer in den Golf von Mexico werfen.

Dieser Beitrag von Christian Hänggi erschien ursprünglich auf dem Blog des Werbe- und Kommunikationsbranchenportals persoenlich.com.