Am 30. August 2022 hat Christoph Marty, CEO von Clear Channel Schweiz und Vizepräsident des Branchenverbands AWS Aussenwerbung Schweiz, alle Mitglieder des Zürcher Gemeinderats angeschrieben. Anlass für die Propagandaschrift war die Abstimmung zum Postulat 2022/317, die am 31. August hätte stattfinden sollen (sie musste kurzfristig verschoben werden).
Neben allerlei abstrusen Behauptungen, die nichts mit dem Thema zu tun haben, und vielen sogenannten Fakten (ohne Quellenangabe), sticht eine Zahl besonders hervor. Christoph Marty schreibt: «50% der Plakatwerbung wird von KMU im lokalen und regionalen Gewerbe für ihre Bedürfnisse genutzt» (ohne Quellenangabe).
Wer mit offenen Augen durch die Stadt geht, weiss, dass das nicht stimmen kann.
Markus Ehrle, CEO von APG|SGA und Präsident von AWS Aussenwerbung Schweiz, hat der IG PRG im Februar 2022 gesagt, dass 40% des APG-Umsatzes mit lokaler/regionaler KMU-Werbung verbucht wird. APG hat etwa 75% Marktanteil. Wenn die Zahlen von 40% (Ehrle) und 50% (Marty) stimmen, was die IG PRG in Frage stellt, dann müssten die anderen Marktteilnehmer (also Clear Channel, Neo Advertising usw.) rund 80% ihres Umsatzes mit lokalen und regionalen KMU erwirtschaften. Das ist unwahrscheinlich, egal ob es auf dem Land etwas mehr KMU-Werbung gibt als in den Städten.
Deshalb hat die IG PRG hat nachgezählt. Am 4. September 2022 hat sie in der Stadt Zürich zufällig insgesamt 242 kommerzielle Werbungen erfasst (alle kommerziellen Formate ausser Litfasssäulen; von allen Anbietern). Bei wechselnden Sujets wurde jedes Sujet einzeln gezählt. Als KMU gilt: weniger als 250 Mitarbeitende oder Umsatz von weniger als CHF 50 Mio. Wenn ein Unternehmen zu einer Unternehmensgruppe gehört, wurden die Zahlen der Unternehmensgruppe verwendet.
Total: 242 Werbesujets
Werbende Unternehmen:
…Nationale und internationale Grossunternehmen: 208 (86%)
…Sozialkampagnen: 10 (4,1%)
…Politik: 9 (3,7%)
…Kultur: 8 (3,3%)
…KMU: 7 (2,9%), davon lediglich 2 Lokalgewerbe (0,8%)
Weniger als 3% KMU und weniger als 1% Lokalgewerbe. Aber einfach einmal behaupten, es seien 50%, denn wer zählt schon nach?
Das ist das Grundproblem der Aussenwerbung: Keine Transparenz, keine Quellenangaben, und seit Jahren stellen die Plakatgesellschaften irgendwelche Behauptungen in die Welt, die schwer zu überprüfen sind. Einfach, weil sie es können. Und weil die Werbung es mit der Wahrheit ohnehin nicht so genau nimmt.