Am 21. Februar 2023 hat der Branchenverband Aussenwerbung Schweiz AWS eine bei PwC in Auftrag gegebene «Studie» über Aussenwerbung veröffentlicht – die erste ihrer Art. In einer intransparenten Industrie ist neues Zahlenmaterial stets zu begrüssen. Allerdings muss die Perspektive gewechselt werden, um es in seiner vollen Brisanz zu erfassen.
Im letzten Herbst ist der Branchenverband Aussenwerbung Schweiz AWS mit Behauptungen an die Öffentlichkeit und die Politik getreten, die sich fast durchwegs als verzerrt, unpräzise formuliert oder frei erfunden herausgestellt haben. Die IG Plakat | Raum | Gesellschaft hat dargelegt, wo die Probleme lagen.
Zwischenzeitlich hat der Verband beschlossen, extern einen Teilaspekt der Aussenwerbung untersuchen zu lassen und PwC mit einer «Studie zum volkswirtschaftlichen Beitrag der Schweizer Aussenwerbung im Jahr 2022» beauftragt. Auch wenn klar ist, dass die Grundaussagen dem Auftraggeber der Studie entsprechen und dahingehend selektiert und gedreht werden, ist die «Studie» lesenswert.
Undurchsichtige Quellen und Echokammer der Werbeindustrie
Doch die Probleme der «Studie» – wie sie präsentiert wird – werden rasch offenbar. Es ist nur klar, dass PwC für die Erhebung zuständig war und Markus Ehrle, CEO von APG|SGA, die PowerPoint-Präsentation zusammengestellt hat. Wer bei PwC dafür verantwortlich war und was deren Qualifikationen sind, wird nicht ausgewiesen. Auch wissen wir nicht, welche Zahlen und Fakten Markus Ehrle vielleicht weggelassen hat.
Die Quellenlage ist ebenfalls dünn. Überall dort, wo es interessant wird, ist als Quelle «Datenerhebung (PwC Schweiz, 2023)» angegeben, also die Datenerhebung, deren Resultate präsentiert werden. Zur Methodik stehen ein paar Sätze, aber der Fragebogen, der als Grundlage dient, wird nicht mitgeliefert und auch die Rohdaten werden nicht zur Verfügung gestellt. Wir wissen also nichts Genaueres dazu, welche Fragen gestellt und welche Antworten gegeben wurden.
Ein Grossteil der Quellenangaben betreffen eine andere Untersuchung von PwC, eine vom Werbebranchenverband KS/CS in Auftrag gegebene Untersuchung, eine von AWS in Auftrag gegebene Umfrage, das (der Industrie zugewandte) Amt für Städtebau der Stadt Zürich oder die Lauterkeitskommission, ebenfalls eine Institution der Werbeindustrie. Eine Quellenangabe nennt den Auftraggeber sogar mit einer falschen Bezeichnung und ohne genauere Angabe: «Verband der Schweizer Aussenwerbung».
Nachtrag: Die IG PRG hat bei Aussenwerbung Schweiz AWS die Rohdaten, Interviewfragen und Verantwortlichen bei PwC angefragt. AWS weigert sich, diese bekanntzugeben. AWS hat keine der Interpretationen in diesem Beitrag hier bestritten.
Mit anderen Worten: Es darf zumindest bezweifelt werden, dass diese «Studie» Wissenschaftlichkeit beanspruchen darf.
Einige Zahlen und Formulierungen stechen als unplausibel oder ungereimt ins Auge.
Stromverbrauch der ganzen Industrie
Beispielsweise soll die ganze Industrie im Jahr 2022 11 GWh Strom verbraucht haben. Im pandemiegeplagten Jahr 2021 hat Clear Channel alleine 3,2 GWh Strom verbraucht (lediglich rund 1/4 aus nachhaltigen Quellen). Die Tendenz beim Stromverbrauch ist seit Messbeginn steigend: bei den Werbestellen alleine knapp +45% seit 2017. Mit 16 000 Werbestellen (2021) dürfte Clear Channel rund 20% Marktanteil haben (Total 2022: 82 500). Zudem sind im letzten Jahr alleine in der Stadt Zürich rund 250 neue Werbescreens hinzugekommen, was ein Fünftel der schweizweiten Outdoor-Screens ausmacht. Ein Stromverbrauch von 16–20 GWh ist plausibler als die von den Marktteilnehmern angegebenen 11 GWh. Zudem wird auch andere Energie verbraucht als nur Strom, und Grauenergie ist hier natürlich auch nicht mitgerechnet.
Stromverbrauch der Werbebildschirme
PwC schreibt, dass ein Outdoor-Screen durchschnittlich 1719 kWh Strom pro Jahr verbraucht, also 2.5× mehr als letztes Jahr noch von AWS behauptet. Als Quelle wird wieder die eigene Erhebung angegeben. Wie die IG PRG ausführlich dargelegt hat, gibt es aber Grund zur Annahme, dass ein Outdoor-Screen zwischen 2000 kWh (55″) und 3300 kWh (75″) verbraucht, also rund 50% mehr als PwC meint.
Manche Zahlen werden selektiv wiedergegeben. Beispielsweise schreibt PwC, dass die Outdoor-Screens nur 2% der Werbeträger ausmachen. Dass der Umsatzanteil der energieintensiven digitalen Aussenwerbung in fünf Jahren von 12% auf 27% gesteigert wurde (und weiterhin steigen wird), wird nicht betont. Ein Grossteil der massiven Zunahme des Stromverbrauchs (in fünf Jahren +45% bei Clear Channel) geht denn auch auf das Konto der digitalen Aussenwerbung.
Kreatives Jonglieren mit dem Bruttoumsatz
Der Bruttoumsatz der Aussenwerbung betrug 2022 CHF 806 Mio. In diesem Bruttoumsatz sind auch fiktive Umsätze wie Rabatte drin. Wenn man Kundenrabatte, Beraterkommissionen und Plakatproduktion abzieht, bleiben noch CHF 397 Mio. Nettoumsatz. Die «Studie» schreibt: «Ein Franken Bruttoumsatz der Branche generierte direkte und indirekte finanzielle Beiträge in Höhe von rund 0.6 Franken an die Bevölkerung und die öffentliche Hand.» Das ist irreführend.
Ein beträchtlicher Teil der genannten Summe von CHF 481 Mio. geht nicht an die Bevölkerung und die öffentliche Hand, sondern an die eigenen Angestellten (CHF 93 Mio., davon etwa CHF 1 Mio. an den CEO von APG|SGA, der die Zahlen so selektiert hat) oder in einen undurchsichtigen Topf «Aufwand für die öffentliche Infrastruktur» (182 Mio.), der vermutlich auch den Bau der Werbescreens und die Reinigung der ÖV-Werbeflächen einschliesst, also die Grundlage für das eigene Geschäft.
Letztlich ist ein guter Teil der Rabatte für gemeinwohlorientierte Organisationen (CHF 30 Mio.) ebenfalls Teil des Geschäfts. Damit können Leerstände gefüllt werden, und ohne diese Rabatte würden die betroffenen Organisationen vermutlich gar keine Aussenwerbung machen. Zudem müsste man die Perspektive umdrehen: Anstatt zu sagen, dass gemeinwohlorientierte Organisationen Rabatte von CHF 30 Mio. gewährt wurden (basierend auf dem Preis, den globale Unternehmen bezahlen würden, wenn sie nicht ebenfalls (Mengen-)Rabatte erhielten), könnte man auch sagen, dass die Plakatgesellschaften an wohltätigen, politischen und kulturellen Institutionen CHF 69 Mio. verdient haben, dass also diese Institutionen CHF 69 Mio. an privatwirtschaftliche, gewinnorientierte Konzerne bezahlen mussten, um sich im öffentlichen Raum Gehör zu verschaffen.
Die «Studie» betont, dass 63% des Kundenstamms KMU ausmachen. Nicht so klar gezeigt wird, dass der Bruttoumsatz mit KMU lediglich etwa 4,5% des gesamten Bruttoumsatzes ausmacht (also etwas so viel, wie die IG PRG geschätzt hat). Weitere 8,5% gehen auf das Konto von Kultur-, Polit-, und gemeinnütziger Werbung. Aufgrund der präsentierten Zahlen ist also davon auszugehen, dass kommerzielle nationale und internationale Werbung etwa 87% des Bruttoumsatzes ausmachen.
Überhaupt bietet sich ein Perspektivenwechsel an: Geschätzte 100% des Bruttoumsatzes der Aussenwerbungsindustrie wird von den Konsumentinnen und Konsumenten über die Produkte und Dienstleistungen bezahlt, die sie kaufen. Mit anderen Worten: Jede und jeder in der Schweiz, vom Neugeborenen bis zur Greisin, bezahlt 100 Franken dafür, dass überall Werbung hängt. Von diesen 100 Franken fliessen lediglich etwa 20–30 Franken zurück an das Gemeinwohl. Der Rest bleibt irgendwo in der Werbeindustrie hängen.